Historisches
Von Thomas Horsmann | aus dem Vorwärts 1/2023
In der Berliner Krolloper, dem Ausweichquartier nach dem Reichstagsbrand, eröffnet Parlamentspräsident Hermann Göring um 18.15 Uhr die Sitzung. Hinter dem Podium des Reichstagspräsidiums hängt eine riesige Hakenkreuzfahne. In Türen und Gängen drängen sich bewaffnete SA-und SS-Mannschaften, die die Krolloper bewachen und die SPD-Abgeordneten einschüchtern sollen.
Es ist Donnerstag, der 23. März 1933. Auf der Tagesordnung steht die Beratung über das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“, das sogenannte Ermächtigungsgesetz. Mit ihm soll sich das Parlament selbst entmachten, die Legislative auf die Reichsregierung übertragen und die Gewaltenteilung aufheben. Die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit ist sicher, denn die Kommunisten sind ausgeschaltet und außer den Sozialdemokraten wagt niemand mehr, Widerspruch zu erheben.
Otto Wels gibt Hitler Contra
Erster Redner ist der SPD-Vorsitzende Otto Wels, der im Namen der gesamten SPD-Fraktion das Gesetz klar ablehnt: „Noch niemals, seit es einen Deutschen Reichstag gibt, ist die Kontrolle der öffentlichen Angelegenheiten durch die gewählten Vertreter des Volkes in solchem Maße ausgeschaltet worden, wie es jetzt geschieht und wie es durch das neue Ermächtigungsgesetz noch mehr geschehen soll.“ Er fügt unter Schmährufen der Nationalsozialisten hinzu: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ Und weiter: „Wir deutschen Sozialdemokraten bekennen uns in dieser geschichtlichen Stunde feierlich zu den Grundsätzen der Menschlichkeit und der Gerechtigkeit, der Freiheit und des Sozialismus.“ Schließlich fällt der legendäre Satz: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“
Ein Blick zurück. Am 30. Januar 1933 ernennt Reichspräsident Paul von Hindenburg Adolf Hitler zum Reichskanzler. Bereits am 1. Februar wird der Reichstag aufgelöst. Gleichzeitig setzt der nationalsozialistische Terror ein, der den Wahlkampf zur Reichstagswahl am 5. März 1933 prägt. Doch es gelingt der NSDAP nicht, die angestrebte absolute Mehrheit zu erreichen. Mit 43,9 Prozent der Stimmen wird sie aber erneut stärkste Fraktion und erhält 288 Sitze, die SPD erreicht mit 18,3 Prozent 120 Sitze und ist zweitstärkste Kraft.
Der Druck auf die SPD-Abgeordneten wird immer stärker. Auf dem Weg in die Krolloper zur Parlamentssitzung müssen sie sich durch eine grölende Menge Nationalsozialisten drängen, die sie beschimpfen. Sie werden gewarnt mit „Nein“ zu stimmen, da Verfolgung und Vertreibung drohten.
Die SPD wird verfolgt
An der Sitzung nehmen schließlich 93 von 120 Abgeordneten der SPD teil. Die Abwesenden haben gute Gründe, nicht dabei zu sein. Sie sind inhaftiert oder liegen nach Angriffen im Krankenhaus. Genossen jüdischer Abstammung haben sich nach Absprache mit dem Fraktionsvorstand krankgemeldet, andere sind schon ins Ausland geflüchtet. Carl Severing, ehemaliger Reichsinnenminister, gehört zu den Inhaftierten. Er kommt kurz vor der Abstimmung frei, eilt ins Parlament und trifft gerade noch rechtzeitig ein, um die 94. Nein-Stimme gegen das Ermächtigungsgesetz abzugeben.
Mit 444 gegen 94 Stimmen der SPD nimmt der Reichstag das Ermächtigungsgesetz an. Die dritte und letzte Sitzung des Reichstags als Mehrparteienparlament findet am 17. Mai 1933 statt. Kurz darauf wird er aufgelöst, Parteien werden verboten, die Demokratie ist beseitigt. Die SPD-Führung flieht nach Prag. Sie hofft auf baldige Rückkehr. Doch das sollte noch 12 lange Jahre dauern.
Der SPD-OV Mühlhausen-Rettigheim-Tairnbach möchte in dieser Woche aber auch an ein geschichtsträchtiges Ereignis vor 87 Jahren erinnern: Am 23. März 1933 stemmte sich der Vorsitzende Otto Wels im Namen der ganzen SPD-Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis. Bis heute gibt es kein anderes Datum in ihrer an Dramatik reichen Geschichte, auf das Sozialdemokraten so stolz sind. Gerade in Zeiten, in denen der sog. "Flügel" der AfD vom Verfassungsschutz beobachtet wird, worauf dieser nun seine Auflösung bekannt gab, wird deutlich, wie wichtig ein Blick zurück ist. Da sich der "Flügel" in der "Mitte der Partei" befände (A. Gauland), wäre es folgerichtig, wenn jetzt die gesamte AfD beobachtet wird.
Das Ende der Demokratie
Mit dem Gesetz „zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 23. März 1933 schaffte sich die Demokratie in Deutschland endgültig ab. 444 Abgeordnete stimmten dafür, oft aus Angst um ihr Leben, etwa der spätere Bundespräsident Theodor Heuss und der christliche Gewerkschafter Jakob Kaiser. 94 Abgeordnete und damit die gesamte SPD-Fraktion, stimmten dagegen, obwohl sie wussten, was das für sie und ihre Familien bedeuten würde.
Der SPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner, nach dem Krieg bayerischer Ministerpräsident, war dabei und schrieb nach dem Krieg in seinen Erinnerungen, diese Rede sei „nach Form und Inhalt ein Meisterwerk, ein letzter Gruß an das verblichene Zeitalter der Menschlichkeit und des Menschenrechts.“
Otto Wels war eigentlich kein großer Redner, doch dieser leidenschaftliche Appell für Freiheit und Humanität ist bis heute unvergessen und hat den Weg in die Schulbücher gefunden. Unterbrochen von ständigen Pöbeleien der Nazi-Politiker und der zahlreich – illegal - im Saal vertretenen SA-Männer, wagte es Wels, Sätze zu sagen wie diesen: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ Und dann dieser pathetische Gänsehaut-Satz, den viele Demokraten bis heute zitieren können: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Adolf Hitler schäumte.
Flucht und Verfolgung
Nur 94 von 120 SPD-Abgeordneten hatten es an diesem Tag in die Krolloper geschafft, die nach dem Reichstagsbrand als Parlament diente. Die anderen waren von grölenden SA-Horden am Betreten gehindert worden, waren schon verhaftet, auf der Flucht oder ins Krankenhaus geprügelt worden. Der schwer verletzte, im Januar 1945 ermordete Widerstandskämpfer Julius Leber zum Beispiel war direkt vor der Krolloper in Fesseln abgeführt worden. Die 81 Abgeordneten der Kommunistischen Partei waren schon vor diesem 23. März verhaftet worden, so weit sie nicht untertauchen konnten. Man hatte ihnen die Schuld am Reichstagsbrand in die Schuhe geschoben.
So kam es zum Abstimmungsergebnis 444 zu 94 Stimmen. Sämtliche Mitglieder der anderen demokratischen Parteien wie Zentrum oder Liberale hatten aus Angst Ja zu einem Gesetz gesagt, durch das Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und jede freie Meinungsäußerung abgeschafft wurden und willkürliche Verhaftungen ein legales Mäntelchen bekamen.
Der Politologe Klaus Schönhoven hat in einem Buch, das Otto Wels berühmten Satz im Titel trägt, das weitere Schicksal dieser so unfassbar mutigen Sozialdemokraten verfolgt. Sie wurden täglich drangsaliert, zwei Drittel von ihnen mindestens einmal verhaftet, litten in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Ein Drittel schaffte es in die Emigration, wobei es dauerhafte Sicherheit nur für jene gab, die sich nach Großbritannien oder nach Übersee retten konnten.
Deutschlands Ehre gerettet
Der Exilvorstand der SPD entschied sich für Prag. Dort baute Otto Wels die Exilorganisation „Sopade“ auf. Nach dem Münchner Abkommen von 1938 ging die Flucht weiter nach Paris. Otto Wels starb dort mit 66 Jahren im September 1939, zwei Wochen nach dem Einmarsch der Nazis in Polen.
Um im Pathos der damaligen Zeit zu bleiben: Mit seinem Mut, mit dem unvergessenen Satz „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, hat der SPD-Vorsitzende Otto Wels in finstersten Zeiten Deutschland ein kleines Stück Ehre gerettet.
(von Renate Faerber-Husemann • 23. März 2020| www.vorwaerts.de/artikel/otto-wels-rede-reichstag-demokratie-ehre-gerettet)
Die jüngsten Entgleisungen des rechtsaußen Auslegers der AfD Björn Höcke - Interviews mit unangenehmen Fragen werden abgebrochen; Journalisten wird gedroht - und die weiterhin geführten Angriffe auf unsere freiheitliche Demokratie machen es notwendig, dass der SPD-Ortsverein Mühlhausen-rettigheim-Tairnbach anlässlich des 80. Todestag von Otto Wels (16.09.1939) folgende Gedanken zu seiner Rede zur Ablehnung des sog. "Ermächtigungsgesetzes" aus dem Vorwärts veröffentlicht:
85 Jahre ist es nun her, dass sich der SPD-Vorsitzende Otto Wels im Namen seiner ganzen Fraktion gegen das Ermächtigungsgesetz der Nazis stemmte. Bis heute gibt es kein anderes Datum in ihrer an Dramatik reichen Geschichte, auf das Sozialdemokraten so stolz sind.
Mit dem Gesetz „zur Behebung der Not von Volk und Reich“ vom 23. März 1933 schaffte sich die Demokratie in Deutschland endgültig ab. 444 Abgeordnete stimmten dafür, oft aus Angst um ihr Leben, etwa der spätere Bundespräsident Theodor Heuss und der christliche Gewerkschafter Jakob Kaiser. 94 Abgeordnete und damit die gesamte SPD-Fraktion, stimmten dagegen, obwohl sie wussten, was das für sie und ihre Familien bedeuten würde.
Das Ende der Demokratie
Der SPD-Reichstagsabgeordnete Wilhelm Hoegner, nach dem Krieg bayerischer Ministerpräsident, war dabei und schrieb nach dem Krieg in seinen Erinnerungen, diese Rede sei „nach Form und Inhalt ein Meisterwerk, ein letzter Gruß an das verblichene Zeitalter der Menschlichkeit und des Menschenrechts.“
Otto Wels war eigentlich kein großer Redner, doch dieser leidenschaftliche Appell für Freiheit und Humanität ist bis heute unvergessen und hat den Weg in die Schulbücher gefunden. Unterbrochen von ständigen Pöbeleien der Nazi-Politiker und der zahlreich – illegal - im Saal vertretenen SA-Männer, wagte es Wels, Sätze zu sagen wie diesen: „Kein Ermächtigungsgesetz gibt Ihnen die Macht, Ideen, die ewig und unzerstörbar sind, zu vernichten.“ Und dann dieser pathetische Gänsehaut-Satz, den viele Demokraten bis heute zitieren können: „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht.“ Adolf Hitler schäumte.
Flucht und Verfolgung
Nur 94 von 120 SPD-Abgeordneten hatten es an diesem Tag in die Krolloper geschafft, die nach dem Reichstagsbrand als Parlament diente. Die anderen waren von grölenden SA-Horden am Betreten gehindert worden, waren schon verhaftet, auf der Flucht oder ins Krankenhaus geprügelt worden. Der schwer verletzte, im Januar 1945 ermordete Widerstandskämpfer Julius Leber zum Beispiel war direkt vor der Krolloper in Fesseln abgeführt worden. Die 81 Abgeordneten der Kommunistischen Partei waren schon vor diesem 23. März verhaftet worden, so weit sie nicht untertauchen konnten. Man hatte ihnen die Schuld am Reichstagsbrand in die Schuhe geschoben.
So kam es zum Abstimmungsergebnis 444 zu 94 Stimmen. Sämtliche Mitglieder der anderen demokratischen Parteien wie Zentrum oder Liberale hatten aus Angst Ja zu einem Gesetz gesagt, durch das Pressefreiheit, Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit und jede freie Meinungsäußerung abgeschafft wurden und willkürliche Verhaftungen ein legales Mäntelchen bekamen.
Der Politologe Klaus Schönhoven hat in einem Buch, das Otto Wels berühmten Satz im Titel trägt, das weitere Schicksal dieser so unfassbar mutigen Sozialdemokraten verfolgt. Sie wurden täglich drangsaliert, zwei Drittel von ihnen mindestens einmal verhaftet, litten in Gefängnissen und Konzentrationslagern. Ein Drittel schaffte es in die Emigration, wobei es dauerhafte Sicherheit nur für jene gab, die sich nach Großbritannien oder nach Übersee retten konnten.
Deutschlands Ehre gerettet
Der Exilvorstand der SPD entschied sich für Prag. Dort baute Otto Wels die Exilorganisation „Sopade“ auf. Nach dem Münchner Abkommen von 1938 ging die Flucht weiter nach Paris. Otto Wels starb dort mit 66 Jahren im September 1939, zwei Wochen nach dem Einmarsch der Nazis in Polen.
Um im Pathos der damaligen Zeit zu bleiben: Mit seinem Mut, mit dem unvergessenen Satz „Freiheit und Leben kann man uns nehmen, die Ehre nicht“, hat der SPD-Vorsitzende Otto Wels in finstersten Zeiten Deutschland ein kleines Stück Ehre gerettet.
Quelle: Renate Faerber-Husemann • 22. März 2018, auf www.vorwaerts.de/artikel/otto-wels-rede-reichstag-demokratie-ehre-gerettet
„Her mit dem Frauenwahlrecht!“ Das war vor mehr als 100 Jahren der Schlachtruf mutiger Frauen, vor allem mutiger Sozialdemokratinnen wie Marie Juchacz, Clara Zetkin und Luise Zietz (beschlossen im Rat der Volksbeauftragten unter Vorsitz des späteren Reichspräsidenten Friedrich Ebert). Sie waren es, die das aktive und passive Wahlrecht für Frauen erkämpft und damit den Weg bereitet haben für wichtige Meilensteine in der Frauen- und Gleichstellungspolitik.
In der über 150-jährigen Geschichte der SPD zählt die Einführung des Frauenwahlrechts zu den zentralen Errungenschaften.
Die vergangenen 100 Jahre haben gezeigt: Perspektiven und Interessen von Frauen werden nur dann gleichwertig berücksichtigt, wenn es zum Selbstverständnis einer Gesellschaft gehört, dass Frauen in der Politik mitreden und mitentscheiden. Deshalb war auch der Quotenbeschluss der SPD am 30. August 1988 auf dem Münsteraner Parteitag so wichtig. Als erste und bislang einzige Volkspartei hat die SPD damit eine verbindliche Quotenregelung eingeführt. Das wäre ohne die Beharrlichkeit der Frauen in der SPD nicht möglich gewesen.
Die parteiinternen und politischen Erfolge der Frauen sind hart erkämpft und keine Selbstläufer. Das sind sie bis heute nicht – im Gegenteil. Durch eine rückwärtsgewandte Rhetorik und Programmatik nicht nur von Rechtspopulisten – auch auf europäischer Ebene – fühlen sich diejenigen gestärkt, die diesen gesellschaftlichen Fortschritt zurückdrehen wollen. Auch wenn sich der übergroße Teil der Gesellschaft zur Gleichstellung der Geschlechter bekennt, werden neuerdings mal leise, oft aber auch offen und laut Errungenschaften der Frauen- und Gleichstellungspolitik in frage gestellt. Dieser Entwicklung stellen sich Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten mit Entschlossenheit entgegen.
SPD-OV Mühlhausen lädt die Ortsbevölkerung und Mitglieder zum Besuch der Ebert-Gedenkstätte und des Weihnachtsmarktes in Heidelberg ein.
„Als ich, ein junger Sattlergeselle, in die deutsche Arbeiterbewegung eintrat, klang mir zuerst das Wort entgegen: ‚Des Volkes Wille soll oberstes Gesetz sein’. Damit war ich einverstanden und daran habe ich festgehalten mein Leben lang.“ Diese Zeilen schrieb Friedrich Ebert am Tage der Wahlen zur Nationalversammlung (19. Januar 1919) im „Vorwärts“, womit er seine Auffassung verteidigte, dass nur eine vom Volk gewählte Instanz darüber zu entscheiden habe, wie es nun mit Deutschland – nach dem verlorenen Weltkrieg – staatsrechtlich weitergehen sollte.