Norbert Zeller (Kultusministerium), Marion Zimmer (Oberhausen-Rheinhausen) und Patrick Merz (Dielheim) Die Gemeinschaftsschule ist für die baden-württembergische Schullandschaft neuartig. Sie unterscheidet sich grundlegend von allen bisherigen Vorstellungen und erhitzt die Gemüter in unserem Bundesland. Für nord-europäische Länder und für norddeutsche Bundesländer ist sie aber längst erfolgreicher Schulstandard.
In der Politik wird über diese Schulform heiß diskutiert und die Debatte hat mittlerweile auch unsere Region erreicht: Die Dielheimer Leimbachtalschule, eine Grund-, Haupt- und Werkrealschule, erwägt für die Zukunft eine Umstellung hin zum neuartigen Konzept. Sollte dieses Wirklichkeit werden, sind Konsequenzen für die Schulen der umliegenden Gemeinden zu erwarten.
Ortsverein und Gemeinderatsfraktion der SPD Dielheim hatten in die Kulturhalle eingeladen, um allen Interessierten - Lehrern, Eltern und Schülern, sowie den Gemeinderäten und Mitgliedern der umliegenden Ortsvereine - die Möglichkeit zu geben, sich näher mit dem „Projekt Gemeinschaftsschule“ vertraut zu machen. Für viele Bürger ist die Gemeinschaftsschule noch eine große Unbekannte und zahlreichen Befürwortern stehen viele Gegner gegenüber, genährt durch Verlustängste, die Schulformen des dreigliedrigen Schulsystems betreffend, in dem die Schülerzahlen längst zu heterogenen Leistungsgruppen geführt haben. In Heidelberg beispielsweise besuchen ca. 62 Prozent eines Jahrgangs ein Gymnasium. Den daraus erwachsenden differenzierten Lernansprüchen kann in diesen Schulen kaum mehr Rechnung getragen werden – oder die Beuteilungskriterien werden einfach abgesenkt.
Referenten in der Dielheimer Kulturhalle waren Norbert Zeller, Leiter der Stabsstelle Gemeinschaftsschulen, Schulmodelle und Inklusion im Kultusministerium Baden-Württemberg, Marion Zimmer, Lehrerin an der Gemeinschaftsschule Oberhausen-Rheinhausen, sowie Patrick Merz, Rektor der Leimbachtalschule Dielheim.
Unter dem Motto "Vielfalt macht schlauer" erläuterte Norbert Zeller zunächst die Grundsätze der Gemeinschaftsschule. Diese unterscheiden sich deutlich von denen der bisher geläufigen Schulformen. "Keine Schulklasse besteht aus einer homogenen Gruppe", schätzte er die momentane Situation in den deutschen Klassenzimmern ein. Es gehe vielmehr darum, "dem Anspruch der Vielfalt gerecht zu werden".
"Voneinander und miteinander lernen" lautet daher die Devise, eine individualisierte Beurteilung der Schüler wird laut Norbert Zeller angestrebt. Doch auch in der Praxis weist die Gemeinschaftsschule einige Unterschiede zu den herkömmlichen Schulen auf. Die Lehrer heißen hier "Lernbegleiter" und übernehmen auch eine etwas andere Rolle. Den Schülern wird mehr Initiative überlassen, in kleinen Lerngruppen sollen sie selbstständig Probleme lösen, während die Lehrkräfte vor allem unterstützend wirken sollen. "Es ist nicht unbedingt weniger Arbeit für die Lehrer, aber vielleicht eine befriedigendere", so das Urteil Zellers.
Die Gemeinschaftsschule ist eine Ganztagsschule, wie Norbert Zeller ausführte. Je nach Fähigkeiten der Schüler können dort Hauptschulabschluss, Mittlere Reife und Abitur erworben werden. Die Entscheidung, welcher Abschluss angestrebt werden soll, fällt erst nach der 9. Klasse, sodass ein längeres gemeinsames Lernen ermöglicht wird.
Aus pädagogischer Sicht stellt sich an dieser Stelle die Frage nach der möglichen Qualität des Unterrichts. Gemeinsames Lernen in kleinen Lerngruppen erfordern m.E. entweder mehr Personal oder gesteigerte Anforderungen an die Lehrkräfte. Gleichzeitig plant die Landesregierung ein umfängliches Reduzieren der Lehrerstellen in Baden-Württemberg, begründet mit einem Rückgang der Schülerzahlen. Bei gleichzeitiger Einrichtung von Gemeinschaftsschulen nicht nachvollziehbar!
Wer zusätzlich Junglehrern zu Beginn ihrer Tätigkeit auch noch über Jahre die Bezüge kürzt und Aufstiegsmöglichkeiten zurückfährt, muss sich nicht wundern, wenn akademisch gebildetes Personal nur noch dann den Lehrerberuf ergreift, wenn es als Berufsethos eine „befriedigende Arbeit“ zur Prämisse ihrer Berufswahl macht und eine „pädagogische Hingabe“ den Verzicht auf gerechte Entlohnung rechtfertigen würde.
Anzumerken bleibt, dass die beschriebene – sehr neo-liberal geprägte – Denk- und Handlungsweise von politisch Agierenden nicht nur der derzeitigen grün-roten Landesregierung zugeschrieben werden kann. Die jetzt in der Opposition ob des Machtverlusts sich sehr sensibel zierende ehemalige Regierungspartei handelte nie anders. Auch wenn ihre Protagonisten das hin und wieder zu vergessen scheinen, wie das selbst in dieser Gemeinderundschau nachzulesen war.
Marion Zimmer teilte der Zuhörerschaft ihre Erfahrungen als Gemeinschaftsschullehrerin mit. „Im herkömmlichen Unterricht kann man den Kindern nicht mehr gerecht werden", deshalb schätzt sie die neue Schulform als Erfolg ein. „Mit der Gemeinschaftsschule macht man nichts falsch nach der vierten Klasse." Marion Zimmer zählt mit ihrer Schule in Oberhausen-Rheinhausen zu den erfolgreichen Vorreitern auf diesem Gebiet und würde im Falle der Umstellung Vorbild sein für die Leimbachtalschule in Dielheim.
Die hat, wie Rektor Patrick Merz wissen ließ, ebenso wie viele andere Haupt- und Werkrealschulen, mit sinkenden Schülerzahlen zu kämpfen - eine "große Herausforderung auch für den Schulstandort Dielheim", der zunehmend auf die Kinder der Nachbarorte angewiesen ist. Den Werkrealschulen bescheinigt Merz "keine große Zukunft mehr". Denn mit dem Wegfall der verbindlichen Grundschulempfehlung blieben allerorts die Schüler aus. Das Konzept der Gemeinschaftsschule erscheine ihm jedoch als sehr attraktiv. "Es wäre auf jeden Fall eine Weiterentwicklung für uns", so das Fazit des Schulleiters.
Die endgültige Entscheidung über die Zukunft der Schule soll bis spätestens Mai fallen. Falls der Antrag für eine Gemeinschaftsschule gestellt werden sollte, könnte die Leimbachtalschule im Schuljahr 2014/2015 zur ersten ihrer Art im näheren Umkreis werden. Die Folgen einer Entscheidung gegen den Antrag sind hingegen bisher noch unüberschaubar, weder für Dielheim noch für die umliegenden Gemeinden. Ob Dielheim den Standort einer weiterführenden Schule im Ort dann noch halten kann, ist offen.
Es bleibt also abzuwarten, was die Zukunft bereit hält. Und auch wenn längst noch nicht alle von der Idee überzeugt sind, ist die Gemeinschaftsschule vielleicht so etwas wie die letzte Hoffnung, attraktive Schulstandorte in unseren Gemeinden zu erhalten. Patrick Merz ist auf jeden Fall guter Dinge: "Um eine Gemeinschaftsschule verstehen zu können, muss man sie gesehen haben." Marion Zimmer und die Schule in Oberhausen-Rheinhausen sind für ihn auf jeden Fall ein gutes Beispiel dafür, dass das Konzept stimmig ist und auch in der Praxis überzeugen kann.
(Erklärungen der Referenten teilweise dem Bericht der RNZ entnommen; Foto: Pfeifer)
Gerhard Zörb