Digitalisierung und Bildungsungleichheit

Veröffentlicht am 11.05.2021 in Gemeinderatsfraktion

In der letzten Gemeinderundschau wies die SPD Mühlhausen nochmals besonders dringlich auf die Notwendigkeit des Abbaus der Bildungsungleichheit hin. Die Verknüpfung zwischen sozialer Herkunft der Eltern und Bildungschancen der Kinder ist eine Jahrzehnte währende Ungerechtigkeit, die nunmehr durch die mangelnde Digitalisierung der Schulen ungebremst durchschlägt. In jenem Moment, in welchem staatlich einheitliche Bildungsangebote nicht mehr möglich sind, da der Präsenzunterricht aus Gründen der Pandemie ausfällt, sind Kinder zurückgeworfen auf die Bildungsmöglichkeiten bzw. auf die Digitalausstattung, die das Elternhaus bietet. Auch beengte Wohnverhältnisse, geringe Deutschkenntnisse und mangelnde Unterstützungsmöglichkeiten von Seiten der Eltern sind hier zu nennen.

Bereits lange vor der Pandemie zeigte sich eine Schieflage in der Bildungsgerechtigkeit, die jedoch weder auf Bundes- noch auf Landesebene wirklich ernst genommen wurde. Auf der Grundlage regelmäßiger Datenerhebungen und eingehenderen Analysen kann die Situation sehr klar und unmissverständlich beschrieben werden: Je höher der allgemeinbildende oder berufliche Schulabschluss der Eltern, desto geringer sind die Schüleranteile an Werkrealschulen und desto höher sind die Schüleranteile an Gymnasien. An Gymnasien finden sich überwiegend Schüler, deren Eltern die Fachhochschul- oder Hochschulreife haben. Im Jahr 2018 waren dies bundesweit 66%. Umgekehrt ist diese Gruppe der Schüler mit Eltern mit höherem Abschluss an Werkrealschulen nur mit 17% (2018) vertreten. Schüler aus Familien mit einem Hauptschulabschluss oder keinem allgemeinbildenden Schulabschluss sind auf dem Gymnasium nur mit 8% vertreten. Die Daten beziehen sich auf das Erhebungsjahr 2018 (siehe hierzu: Datenreport, Statistisches Bundesamt 2021, S. 107f.) und verwundern die in der Bildungsforschung tätigen Wissenschaftler in keiner Art und Weise. Mit relativ geringen Veränderungen wird diese Bildungsungleichheit seit Jahrzehnten dokumentiert. Die Untersuchungen, wie sie zu Schülern mit Migrationshintergrund vorliegen, geben in der Struktur ebenfalls dieses Bild ab: Der Bildungsabschluss der Eltern ist noch immer maßgeblich für die Bildungschancen ihrer Kinder. So eklatant dies in Widerspruch zum Freiheits- und Gerechtigkeitsgebot unseres Grundgesetzes steht und eindeutig auch international, insbesondere durch die UN-Menschenrechtserklärung von 1948, ein Menschenrecht auf Bildung zugesichert wird: Die Bildungsungerechtigkeit spielt in der politischen Diskussion praktisch keine Rolle und auch ein aufmerksamer Leser der Tageszeitung konnte bislang nicht erkennen, dass die neue und alte Landesregierung hier einen Handlungsbedarf sieht.

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Dabei lohnt es sich neben unserem Grundgesetz beispielsweise auch die eingegangenen internationalen Verpflichtungen nochmals näher anzusehen: Nach einem am 19. Dezember 1966 von der UN-Generalversammlung einstimmig verabschiedeten erweiterten Pakt gilt der Anspruch auf Bildung für alle gleichermaßen ohne Diskriminierung hinsichtlich der Rasse, der Hautfarbe, des Geschlechts, der Sprache, der Religion, der politischen oder sonstigen Anschauung, der nationalen oder sozialen Herkunft, des Vermögens, der Geburt oder des sonstigen Status (Artikel 2.2 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte der UN, 1966). Der Pakt wurde einstimmig verabschiedet und gilt als völkerrechtlicher Vertrag. Es muss daher nicht mehr, wie zu früherer Zeit, von der SPD ein Anspruch auf Bildungschancen erstritten werden. Der Anspruch ist nach langen Kämpfen anerkannt, wenn er auch bei weitem noch nicht eingelöst wurde. Dabei ist in Erinnerung zu rufen, dass bis in die späten 1950er Jahre hinein es noch als naturgegeben angesehen wurde, dass die Kinder aus sogenannten einfachen Familien ihren Bildungsanspruch auf die Hauptschule zu beschränken haben. Sogar bis in die 1960er Jahre wurde von konservativer Seite ernsthaft das Argument vertreten, dass in einem schulischen Jahrgang ohnehin lediglich nur 5% mit einer entsprechenden Begabung sich finden und es die Aufgabe der Grundschule sei, diese kleine Gruppe – von Jungen natürlich – herauszufiltern und auf eine weiterführende Schule zu vermitteln. Dass sie in Familien „von höherem Stande“ zu suchen und zu finden waren, schien ohnehin klar. Man ging damals vielfach von einem Begabungsbegriff aus, der von der Erblichkeit von Persönlichkeitsmerkmalen ausging und daraus die Legitimität einer Elite ableitete, die die gesellschaftliche Entwicklung bestimmen sollte. Derartige Vorstellungen wurden noch Ende der 1960er Jahre beispielsweise von der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft Darmstadt zu „Begabungsförderung und Schule“ (1967) publiziert. Die Vorstellung einer Bildungsgerechtigkeit, die allen Kindern möglichst umfängliche Bildungs- und Entfaltungsmöglichkeiten bietet, konnte sich gegen derartige Elitenvorstellungen nur allmählich in der Öffentlichkeit verankern.

Seither wurde gegen viele Widerstände – insbesondere von Seiten der CDU – ein weiter Weg zurückgelegt. Eine wichtige Phase der Demokratisierung der Bildung konnte durch die sozialliberale Regierung Brandt/Scheel (1969-1974) in Gang gesetzt werden. Das deutlichste Merkmal dieser Bildungsreform ist dabei die seither erfolgte Gleichstellung der Geschlechter in der Bildung. Auch ist unter Willy Brandt der Zugang von Kindern und Jugendlichen aus einkommensschwächeren Familien zu weiterführender Bildung durch die Einführung des BAföG (Bundesausbildungsförderungsgesetz, 1971) geschaffen worden. Damals als nicht rückzahlbares Volldarlehen, heute als Darlehen und in der Bedeutung erheblich geringer, mit der Folge, dass immer mehr Studierende arbeiten müssen, um für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Hier waren daher die Reformen schon weiter, was vielfach vergessen wird.

Die Verwirklichung der Bildungsgerechtigkeit im Sinne einer sozialen Gerechtigkeit ist eine bleibende Aufgabe. Es ist dabei entscheidend die nach wie vor engen Zusammenhänge zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen wahrzunehmen. Vor diesem Hintergrund wird dann vollends deutlich, dass der Mangel in der Digitalisierung im schulischen Bereich bereits erzielte Errungenschaften der Bildungsgerechtigkeit zerstört. Ohne einen regulären Schulunterricht praktizieren zu können sind Kinder und Jugendliche auf die digitale Technik und deren Bereitstellung angewiesen. Ist sie, wie gegenwärtig, nicht in ausreichendem Maße verfügbar, so wird die ohnehin bereits problematische soziale Selektion im Bildungswesen nochmals verschärft. Daher ist die SPD-Forderung zugunsten einer besseren digitalen Ausstattung der Schulen eine Forderung in einer durchaus positiven SPD-Geschichte zugunsten von mehr Bildungsgerechtigkeit.

Michael Mangold und Holger Schröder

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